Nach der Europawahl ist vor den Landtagswahlen: Welche Rolle die Theater und Orchester in Deutschland übernehmen, wenn es um die Demokratie geht, haben vom 13. bis 15. Juni die Mitglieder des Deutschen Bühnenvereins bei der Jahreshauptversammlung diskutiert. In die Spielstätten der Bühnen und Orchester Bielefeld kamen rund 300 Theaterleiter:innen, Kulturpolitiker:innen und Vertreter:innen aus der Kulturverwaltung, um an drei Tagen in Gruppen aktuelle Themen und Herausforderungen miteinander zu besprechen.
THEATER UND ORCHESTER FÜR DIE DEMOKRATIE lautet der Titel der Kampagne, die Initiativen und Aktivitäten der Bühnen für Vielfalt, für Grundrechte, für Internationalität und für die Freiheit von Kunst und Kultur und damit für die Freiheit unserer Gesellschaft bündelt. An der Kampagne, die seit dem Welttheatertag im März läuft, haben sich bereits mehrere hundert Bühnen beteiligt.
Bühnenvereinspräsident Carsten Brosda erklärt: „Seit langem sehen wir, dass unsere offene Gesellschaft unter Druck gerät. Das betrifft auch die Freiheit der Künste und die Arbeitsbedingungen der Bühnen in Deutschland. Deshalb unterstützt der Deutsche Bühnenverein mit der Kampagne THEATER UND ORCHESTER FÜR DIE DEMOKRATIE die landesweiten Proteste gegen rechtsradikale Politik. Die Theater und Orchester zeigen ihrem Publikum in ihrer Kunst tagtäglich, dass andere Zukünfte denkbar, spielbar und damit auch praktisch erreichbar sind. Sie setzen damit ganz praktisch einen Kontrapunkt zu Resignation und Fatalismus. Wir brauchen gerade jetzt die Bühnen als die Orte, an denen wir die Fragen behandeln können, die derzeit die Menschen in die Hände von Extremisten treiben. Wir müssen uns diesen Fragen stellen und können dazu einladen, sich für eine andere, bessere und solidarischere Welt zu entscheiden."
Der Jurist, Philosoph und Publizist Michel Friedman eröffnete seine leidenschaftliche Rede auf der Jahreshauptversammlung in der Rudolf-Oetker-Halle mit der Frage: „Wer hätte das gedacht?" Wer hätte gedacht, dass die Kunst und Kultur in einen gesellschaftlichen und politischen Strudel gerate, in dem es um Frieden oder Krieg, Demokratie oder Diktatur gehe.
Zu lange habe man sich um das gute Leben, um Wohlstand und Konsum gekümmert. „Wir sind 20 Jahre hinter der Zeit, was die Verhandlung der Demokratie angeht", mahnte er vor den Mitgliedern des Bühnenvereins. Zuerst werde das Rechtssystem verändert, dann die Presselandschaft und spätestens dann die Kunst und Kultur. Das Theater sei einer der wichtigsten Orte des Verhandelns, der Ort einer Streitkultur, in der man miteinander rede, zuhöre und der andere vielleicht recht habe. „Das Autoritäte kennt das Ausrufezeichen. Die Kunst kennt das Fragezeichen."
In Workshops ging es für die Teilnehmer:innen der Jahreshauptversammlung um die Compliance an den Bühnen, Zugänglichkeit und Barrierefreiheit, Diversität, das künstlerische Arbeiten mit KI und die Frage, inwieweit sich eine ostdeutsche Sozialisation auf die künstlerische Arbeit in den alten Bundesländern auswirkt.
Auch die Arbeitszeit der Beschäftigten mit dem Tarifvertrag NV Bühne wurde unter den Arbeitgeber:innen diskutiert. In den vergangenen Monaten hatten sich Theaterleiter:innen in einem ThinkTank mit bestehenden Arbeitszeitmodellen an den Bühnen befasst. Basierend auf diesen Ergebnissen und denen eines gemeinsamen Workshops mit Bühnenverein und Gewerkschaften hat der Verband mittlerweile ein Arbeitszeitmodell für überwiegend künstlerisch Beschäftigte entwickelt. Dieses berücksichtigt die Interessen der Beschäftigten an größerer Planbarkeit der Arbeitseinsätze und schafft verbindliche Rahmenbedingungen, die Endproben ermöglichen und Ausgleichszeiträume vorsehen. Damit gewährleistet das Modell das Weiterbestehen von Ensemble und Repertoire.
Claudia Schmitz, Geschäftsführende Direktorin des Bühnenvereins, erklärt: „Es ist wichtig, dass wir die Transformation selber in die Hand nehmen. Mit dem Vorschlag eines Arbeitszeitmodells, mit dem sich nun im nächsten Schritt der Tarifausschuss des Bühnenvereins befassen wird, wollen wir den Grundstein dafür legen, dass Ensemble und Repertoire weiterhin die Basis unserer Theater bleiben und gleichsam die Interessen der Beschäftigten besser berücksichtigt werden."
Unter dem Titel „Zurück in die Demokratie - wie Theater und Journalismus dem Rechtsruck in der Gesellschaft begegnen" diskutierten zum Abschluss der Jahrestagung auf dem Podium Professorin Dorte Lena Eilers (Hochschule für Musik und Theater München), die Autorin und Dramaturgin Juliane Hendes und der Journalist und CORRECTIV-Gründer David Schraven. Um miteinander ins Gespräch zu kommen - auch jenseits eigener Blasen - sei es entscheidend, einen Common Ground zu schaffen, von dem aus ein gemeinsames Verhandeln des gesellschaftlichen Miteinanders erst möglich werde, betonte David Schraven - eine Aufgabe für Journalist:innen im Lokalen sowie für die vielen Bühnen in Deutschland.
Vom 1. bis 3. Juni 2023 fand die Jahreshauptversammlung unter dem Motto „Es geht um Kunst!" im Theater Koblenz statt.
Eröffnet wurde die Jahreshauptversammlung durch einen Impuls von Stijn Devillé, Regisseur, Dramatiker und Intendant am Het Nieuwstedelijk, Leuven, Hasselt, Genk zur Kraft der Darstellenden Künste.
Schwerpunkte der Jahreshauptversammlung waren die Auswirkungen des Tarifabschlusses der Kommunen auf die finanzielle Situation der Bühnen und die veränderten Anforderungen an die Beschäftigungsbedingungen für die künstlerisch Beschäftigten - und das Publikum. Es ging zudem um die Gestaltung von Findungsprozessen für die Künstlerischen Leitungen an Theatern und Orchestern und das von der Intendant:innengruppe und dem dramaturgie-netzwerk entwickelte Phasenmodell zur Intendanzfindung wurde von den Vertreter:innen der Rechtsträger diskutiert und weiterentwickelt.
Im Fokus der Tagung standen auch die Zukunftsperspektiven künstlerischer Ausbildung und die Sicht der Studierenden auf die künstlerischen Prozesse. Dazu berichteten Impulsgeber:innen über die Integration von Absolvent:innen am Theater und den Übergang vom Studium ins Berufsleben.
Weitere Schwerpunktthemen waren das ökologisch nachhaltigere Produzieren mit Konzepten für Wiederverwertbarkeit im Theater- und Orchesterbetrieb sowie die Digitalisierung im Kontext des Projektes Datenraum Kultur, bei dem die Chancen und Anwendungsmöglichkeiten durch den Einsatz maschinenlesbarer Spielpläne für die Bühnen diskutiert wurden.
Ein Impuls von Dorte Lena Eilers, Professorin und Leiterin des Masterstudiengangs „Kulturjournalismus" an der Hochschule für Musik und Theater München, zum Thema Kunst und Kritik mit anschließender Diskussion hat die Veranstaltung beschlossen.
Die Jahreshauptversammlung 2022 fand vom 9. bis 11. Juni 2022 im Oldenburgischen Staatstheater statt.
Bei der Jahreshauptversammlung hat sich das Präsidium des Verbands neu konstituiert. Zu den Schwerpunkten der Tagung gehörte die weitere Umsetzung des 2018 verabschiedeten und 2021 erweiterten Wertebasierten Verhaltenskodex an den Häusern. Dazu wurde ein Werkzeugkasten mit ersten Modulen wie Fortbildungsmöglichkeiten, Best-Practice-Beispielen und einer Checkliste für die Theater entwickelt und im Rahmen der diesjährigen Hauptversammlung diskutiert. Darüber hinaus wurde ein Vorschlag für ein Phasenmodell zur Intendanzfindung in einem symbolischen Akt an die Rechtsträger übergeben. Das Modell wurde gemeinsam vom dramaturgie-netzwerk und der Intendant:innengruppe des Deutschen Bühnenvereins entwickelt und soll den Rechtsträgern als Orientierung dienen, um einen zeitgemäßen Findungsprozess zu unterstützen.
Nachdem 2020 die Jahreshauptversammlung erstmals komplett digital stattfinden musste, war im Mai 2021 eine Präsenz-Tagung in Verbindung mit einem Festakt zum 175-jährigen Bestehen des Deutschen Büghnenevreins geplant. Aufgrund der neuen Einschränkungen durch die dritte Welle der Corona-Pandemie konnte am ursprünglichen Termin nur der Festakt mit wenigen geladenen Gästen sowie einige Gremiensitzungen durchgeführt werden (mehr Infos zum Jubiläum unter https://175-jahre-buehnenverein.de).
Die reguläre Jahreshauptversammlung wurde am 29. Oktober 2022 nachgeholt. Dabei wurde eine Erweiterung des Wertebasierten Verhaltenskodex beschlossen. Außerdem verabschiedeten die Teilnehmenden eine neue Satzung für den Verband.
Die Jahreshauptversammlung des Deutschen Bühnenvereins tagte 2020 zum ersten Mal digital und in stark verkürzter Form. Neben den Auswirkungen der Corona-Pandemie auf die Theater und Orchesterlandschaft war ein Schwerpunkt der Veranstaltung die Neuwahl des/der Präsident:in des Deutschen Bühnenvereins. Diese fand - ebenfalls zum ersten Mal - durch Briefwahl statt. Auf vier Jahre gewählt wurde Dr. Carsten Brosda, Senator der Behörde für Kultur und Medien der Freien und Hansestadt Hamburg.
Ein weiteres Thema der Jahreshauptversammlung war die Arbeit der THEMIS-Vertrauensstelle gegen sexuelle Belästigung und Gewalt; der Deutsche Bühnenverein ist eines der Gründungsmitglieder des Trägervereins. Normalerweise finden bei der Veranstaltung zahlreiche Gremiensitzungen und inhaltliche Diskurse statt. Nachdem schon die ursprünglich für Juni in Münster geplante Jahreshauptversammlung wegen der Corona-Pandemie abgesagt werden musste, hatte sich das Niedersächsische Staatstheater Hannover kurzfristig bereit erklärt, die Veranstaltung in kleinerer Form auszurichten.
Die Jahreshauptversammlung 2012 tagte in Ingolstadt. 2013 war der Deutsche Bühnenverein in Kiel zu Gast. 2014 fand die Tagung in Mannheim statt und 2015 in Potsdam. 2016 tagte die Jahreshauptversammlung in Kaiserslautern und 2017 in Dresden. Schwerpunkt der Tagung 2018 in Lübeck war das Thema "Digitale Welten". Im Mittelpunkt der Jahreshauptversammlung 2019 in Nürnberg standen die Themen Geschlechtergerechtigkeit und Frauen in Führungspositionen, der Umgang mit sexueller Belästigung und Machtmissbrauch sowie die Auseinandersetzung mit rechtspopulistischen Strömungen. Weitere Schwerpunkte waren der Fachkräftemangel im technischen und administrativen Bereich sowie die Situation der Orchester.