Das Bild der Theater- und Orchesterlandschaft in Deutschland wird wesentlich durch die rund 140 öffentlich getragenen Theater bestimmt, also durch Stadttheater, Staatstheater und Landesbühnen. Hinzu kommen rund 200 Privattheater, etwa 130 Opern-, Sinfonie- und Kammerorchester und ca. 80 Festspiele, etwa 600 Gastspielhäuser ohne festes Ensemble (INTHEGA, Stand: 12/2020) sowie über 400 Tourneetheater- und Gastspielproduzenten ohne festes Haus (INTHEGA, Stand: 12/2020). Darüber hinaus gibt es noch eine unübersehbare Anzahl freier Gruppen. Diese Vielfalt ist charakteristisch für die deutsche Theater- und Orchesterlandschaft. An die Stelle eines einzigen, übermächtigen Kulturzentrums - wie dies beispielsweise Paris für Frankreich ist - tritt in Deutschland eine Fülle von Häusern, die sich hinsichtlich ihrer Qualität häufig in nichts nachstehen. So gibt es überall in der ganzen Bundesrepublik die Möglichkeit, anspruchsvolles Theater zu sehen und Konzerte zu besuchen.
Drei entscheidende Faktoren prägen das Erscheinungsbild des deutschen Theaters: Mehrspartentheater, Repertoirebetrieb und Ensemble. Das Mehrspartentheater bietet unter einem Dach ein breites künstlerisches Angebot von Schauspiel, Musiktheater (Oper/ Operette/ Musical) und Tanz. Über die genannten Sparten hinaus gibt es noch das Puppentheater sowie das Kinder- und Jugendtheater.
Die Häuser spielen im Repertoirebetrieb eine Vielzahl verschiedener Werke in einer Spielzeit. Dieses Repertoire wird durch mehrere neue Inszenierungen pro Saison (an großen Mehrspartenhäusern zwanzig und mehr Produktionen) ergänzt. So erhält der Zuschauer die Möglichkeit, eine große Bandbreite der Theaterliteratur in abwechslungsreicher Vielfalt kennenzulernen. Größere Opernhäuser gehen allerdings zunehmend dazu über, ihr Repertoire im sogenannten Semi-Stagionebetrieb aufzuführen. Einzelne Stücke, dabei aber meist mehrere parallel, werden in einem überschaubaren Zeitraum en bloc gespielt.
Das Repertoire-Angebot bedingt die Notwendigkeit, mit einem fest am jeweiligen Haus engagierten Ensemble zu arbeiten. Anders wäre die Stückvielfalt des Repertoires nicht zu realisieren. Dieses Ensemble prägt das unverwechselbare künstlerische Profil des Hauses. Gerade deshalb sind Aufbau und Erhalt eines Ensembles für ein Theater besonders wichtig. Vor allem die Stadt- und Staatstheater sowie die Landesbühnen, aber auch einige Privattheater verfügen über einen festen Stamm von Schauspielern, Sängern und Tänzern, die meist für mehrere Jahre engagiert sind. Orchester beschäftigen ebenfalls eine feste Anzahl von Musikern, deren Zusammensetzung das Profil und den speziellen Klang des Orchesters prägen.
Ein anregendes und vielseitiges Angebot findet der Zuschauer auch bei den zahlreichen Privattheatern. Anders als die öffentlich getragenen Theater zeigen sie oft über mehrere Wochen hinweg ein einziges Stück, bevor sie wieder eine neue Inszenierung präsentieren. Diesen En-Suite- oder Stagione-Betrieb findet man außerdem bei den Musical-Häusern, die ihre Stücke meist mehrere Jahre unverändert anbieten.
In jeder Spielzeit werden im Sprech- und Musiktheater in rund 7.300 Inszenierungen etwa 5.000 Werke aufgeführt. Zunehmend werden dabei die Grenzen zwischen Schauspiel, Tanz und Musiktheater durchbrochen und neue Spielformen entwickelt. Insbesondere tänzerische Elemente und Ausdrucksweisen finden eine immer größere Bedeutung. Zu den am häufigsten gespielten Stücken zählen "Terror" von Ferdinand von Schirach, "Tschick" (Robert Koall; Vorlage: Wolfgang Herrndorf), Goethes "Faust" und Lessing "Nathan der Weise"; aber auch Stücke zeitgenössischer Autoren wie Ayad Akhtar ("Geächtet") oder "Die Känguru-Chroniken von Marc-Uwe Kling belegen Spitzenplätze bei den Aufführungszahlen. Im Kinder- und Jugendtheater sind es "Spiel mit der Zeit" (Stefanie Froer u.a.), "Väterchen Frost" (Carsten Kochan) und "Das Dschungelbuch" (Birgit Simmerl u.a.) deren Aufführungen die größten Besucherzahlen erzielen.
In der Beliebtheitsskala der Opernkomponisten ganz oben stehen seit Jahren Wolfgang Amadeus Mozart ("Die Zauberflöte"), Giacomo Puccini ("La Bohème"), Giuseppe Verdi ("La Traviata", "Rigoletto") und Engelbert Humperdinck ("Hänsel und Gretel"). In der Operette bestimmen die Werke von Johann Strauß ("Die Fledermaus", "Der Zigeunerbaron", "Eine Nacht in Venedig"), von Franz Léhar ("Im Land des Lächelns") und von Ralph Benatzky ("Im weißen Rößl)" den Spielplan. Peter Tschaikowsky ("Der Nussknacker", "Schwanensee") verzeichnet im klassischen Ballett Jahr für Jahr die höchsten Aufführungszahlen. Zugleich gewinnt das zeitgenössische Tanztheater eine immer größere Bedeutung. Choreografen wie Sasha Waltz, Sharon Eyal und Nanine Linning sind Repräsentantinnen für viele erfolgreiche Tanztheater-Produktionen.
Das Interesse der deutschen Zuschauer an zeitgenössischen Sprech- und Musiktheaterstücken spiegeln die knapp 600 Ur- und deutschsprachigen Erstaufführungen wider, die jedes Jahr auf deutsche Bühnen kommen. Immer wieder gelingt es Autoren, Themen der Gegenwart in eine spannende theatralische Form zu bringen und so die Zuschauer zur Reflexion ihrer eigenen Wirklichkeit zu veranlassen (Botho Strauß’ "Der Narr und seine Frau heute abend in Pancomedia", Marius von Mayenburgs "Parasiten", Elfriede Jelineks "Rechnitz (Der Würgeengel)", Dea Lohers "Das letzte Feuer" und viele andere). Und auch in der Oper stößt das zeitgenössische Musiktheater mit Kompositionen von Helmut Lachenmann, Wolfgang Rihm, Peter Ruzicka, Adriana Hölszky oder Hans Werner Henze auf immer größeres Zuschauerinteresse.
Sehr viel Bewegung gab es in den letzten Jahren im Bereich des Musicals. Produktionen wie "Der König der Löwen", "We will rock you" und andere, die an einer Musical-Bühne über Jahre hinweg Abend für Abend aufgeführt werden, erreichten hohe Besucherzahlen. Der Beliebtheit von "My Fair Lady" (Frederick Loewe) und "West Side Story" (Leonard Bernstein), die an Opernhäusern gespielt werden, tut dies jedoch keinen Abbruch.
Wegen des föderalen Aufbaus der Bundesrepublik Deutschland ist die Kultur vorrangig eine Aufgabe der Länder. Die Theaterfinanzierung wird daher ungefähr zur Hälfte von den Ländern und Kommunen getragen. Der Bund beteiligt sich an der Finanzierung der Kultur nur in einem vergleichsweise geringen Umfang. Insgesamt zahlt die öffentliche Hand rund 2 Milliarden Euro für die öffentlich getragenen Theater und Orchester. Dieser Betrag entspricht etwa 0,2 Prozent der Gesamtausgaben von Bund, Ländern und Gemeinden. Die Eigeneinnahmen der Theater sind je nach Spielplan sehr unterschiedlich. Mit diesem verhältnismäßig geringen Budget beschäftigen die Theater und Orchester direkt etwa 39.000 Menschen und sichern zugleich indirekt die Arbeitsplätze vieler Betriebe, die auf die Aufträge der Theater angewiesen sind oder von der Existenz der Kulturbetriebe profitieren. Ein großer Teil des öffentlichen Geldes fließt so in Form von Steuern wieder an die öffentliche Hand zurück (sogenannte Umwegrentabilität).
Mehr und mehr wird heute gefordert, das Theater und seine Kunst den Maximen der Betriebswirtschaft zu unterwerfen. Dabei wird oft verkannt, dass im Theater die öffentliche Finanzierung auch die Freiheit der Kunst sichert. Dennoch haben sich die Theater und Orchester der Bundesrepublik längst den Erfordernissen der Zeit angepasst und durch den Einsatz von professionellem Management ihre Betriebe modernisiert. Nur so konnten sie die zum Teil drastischen Haushaltskürzungen bis jetzt ohne ernsthafte künstlerische Einbußen verkraften. Viele Theater und Orchester werden von Sponsoren unterstützt. Man muss jedoch wissen, dass die Gelder privater Förderer nur einen Bruchteil der benötigten Mittel ausmachen und das Engagement der öffentlichen Hand niemals ersetzen können. Lediglich ein Prozent der Theaterfinanzierung stammt aus privaten Geldern, mit denen in der Regel vor allem prestigeträchtige Projekte gefördert werden.
(Die Zahlen beziehen sich auf die Statistik des Deutschen Bühnenvereins)
„Orchester und Konzertwesen in Deutschland"
von Johannes Wunderlich (PDF)
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